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Mit dem breiten Pinsel malen

Foto: Moritz Hager

Er will mit seinen Ideen provozieren und macht keinen Hehl daraus. Über die Zukunft des Limmattals sagt Thomas Sevcik: «Die Stadt kommt, es ist nun an uns, sie zu gestalten.» Der kreative Kopf des Konzepts «Limmattalstadt» im Porträt.

Text: Joris Jehle, Fotos: Jonas Holthaus

Thomas Sevcik wirkt entspannt. Und das, obwohl sich ein Termin an den anderen reiht, obwohl er heute in Zürich, morgen in L.A. und nächste Woche in Hongkong ist. Sein Outfit ist einfach und unauffällig: schwarzes T-Shirt, lockere Hose, Turnschuhe. Kommt er ins Reden, ist die Entspannung verschwunden. Egal wovon, er redet mit Begeisterung und Nachdruck. So auch vom Limmattal, mit dem ihn seine Lebensgeschichte verbindet. Geboren in Wettingen und aufgewachsen im Säuliamt, war er über Handball und Freunde mit dem Limmattal verbunden, und samstags fuhr auch seine Familie ins Shoppi.

Der strategische Geschichtenerzähler

Studiert hat er Architektur, ohne je bauen zu wollen. Sevcik ist ein Stratege: Statt mit dem Bleistift entwirft er mit dem breiten Pinsel. Der Berater entwickelt Konzepte und Strategien für Firmen, Städte, Regionen, ja sogar Länder. Seine Strategien haben die Form von Geschichten – oder Narrativen, wie er sie nennt. Sie beginnen mit der Historie der Region, beschreiben die Gegenwart und skizzieren eine mögliche Zukunft. Ein solches Narrativ hat er nun für das Limmattal geschrieben, betitelt als die «Limmattalstadt».

Entspannen am Wasser: Diese Badener Bar liegt direkt an der Limmat.

Im Buch analysiert er Geschichte und Gegenwart des Limmattals. Daraus leitet er Kernideen ab, welche die Region definieren, Eigenschaften und Eigenheiten, die sie prägen. Dann macht er Vorschläge für die Weiterentwicklung. Schliesslich gibt er konkrete Beispiele, wie die Vorschläge umgesetzt werden könnten. Sie sind bewusst utopisch und überspitzt: Sie sollen provozieren und Diskussionen anregen. Sevcik geht es nicht um die genaue Umsetzung, sondern um die Verdeutlichung seiner Kernideen.

Ein Beispiel: Aus der Shopping-Raststätte Würenlos soll ein Mobilitätshub werden – das «Fress» – wo Autobahn, S-Bahn, eine Seilbahn und ein futuristischer Helikopterlandeplatz mit weiteren Nutzungen kombiniert werden. Es soll ein Hotel, Meetingräume, Coworking und mehr geben. Ähnlich einem Flughafen könnte das «Fress» ein Umsteigebahnhof zwischen verschiedenen Mobilitätsformen sein. Wegen der guten Vernetzung eignet es sich als Meeting- und Arbeitsstandort. So lässt sich die Fahrt nach Zürich sparen.

«Es gab hier sehr viele ‹Firsts› – die Spanisch-Brödli-Bahn, das war ja Hightech! Das war wie das Starship von SpaceX heute.»

Was vom «Fress»-Konzept hängen bleibt, sind die Helikopter oder «eVerticopter»: grosse, elektrische Drohnen für 10 bis 15 Passagiere. Sevcik ist überzeugt, dass diese dereinst Teil unserer Mobilität werden. eVerticopter und Seilbahn sollen jedoch in erster Linie die Kernideen hinter dem Konzept verdeutlichen, egal ob sie je in Würenlos landen. Das Konzept soll nämlich erstens die Wichtigkeit und das Potenzial von Mobilitäts-Hubs aufzeigen.

Und zweitens sieht er eVerticopter als weiteren Schritt in der Geschichte des Limmattals, in welchem von jeher die neusten Innova tionen umgesetzt wurden. So war die Spanisch-Brödli-Bahn 1847 die erste Eisenbahn der Schweiz, das Shoppi Tivoli in Spreitenbach 1970 eines der ersten Shoppingcenter im Land und der «Fressbalken» 1972 die grösste Raststätte über einer Autobahn. «Es gab hier sehr viele ‹Firsts› – die Spanisch-Brödli-Bahn, das war ja Hightech! Das war wie das Starship von SpaceX heute», sagt Sevcik.

Starker Kontrast: Die Werbermühle Neuenhof sticht als Bau sofort ins Auge.

Ein Buch soll Identität fördern

Der Berater gibt zu, dass die Innovationen nicht alle aus dem Limmattal stammten und teilweise von aussen herangetragen wurden. Aber sie wurden akzeptiert und integriert. In der demokratischen Schweiz stehen viele Mittel zur Verfügung, mit welchen die Limmattaler diese Projekte hätten verhindern können. Was laut Sevcik noch fehlt, ist ein Selbstverständnis als «Limmattalstädterin» oder «Limmattalstädter». Mit seinem Buch will er helfen, dieses Selbstverständnis zu schaffen.

Was ist das Limmattal gemäss Sevcik? Er nennt folgende fünf Eigenschaften: modern, «affordable chic», schweizerisch, kon stant in Veränderung und menschen gemacht. Mit Modernität meint er die technologische Innovationskraft à la Spanisch-Brödli-Bahn. «Affordable chic» beschreibt einen Lebensstil, der Wert auf Qualität und gutes Design legt, jedoch erschwinglich ist. Sehr schweizerisch ist das Limmattal, weil es sehr typisch ist für eine Schweizer Agglomeration: vielfältige Landschaften, grosse Infrastrukturen, kleinstädtische Zentren wie Baden oder Dietikon und erhaltene Dorfkerne, welchen die bauliche Entwicklung über den Kopf gewachsen ist.

«Das Limmattal verstädtert sich, das ist keine Sevcik-Idee, es passiert.»

«Das Limmattal ist eine Vorläuferregion für Entwicklungen, die auch in anderen Regionen der Schweiz kommen werden», analysiert Sevcik. Wie andere Agglomerationen verändert sich das Limmattal ständig, überall wird gebaut, das Bevölkerungswachstum ist hoch. Und geprägt wird es in erster Linie durch die Menschen von heute: weder historisch noch landschaftlich ist das Limmattal bekannt, sondern es sind die von Menschen gemachten Projekte, die leuchten.

Wohin gehts, Limmattal?

Im Buch beschreibt Sevcik mehrere Wirtschaftsschwerpunkte wie angewandte Technologie, Logistik und Biotechnik. Dem Tal fehlt auch eine Hochschule. Es braucht mehr Querverbindungen über Limmat, Bahntrassee und Autobahn. Leuchtturm projekte mit innovativen Wohn- und Arbeitskonzepten könnten die Tradition des Shoppi Tivoli fortsetzen. Die Limmat soll zugänglicher und die Freiräume sollen besser nutzbar, aber wie Parks konzentrierter werden. Und zuletzt sollen Freizeit und Kultur gestärkt werden. Zwar gibt es viele Sportvereine, die im Limmatraum und seinen Wäldern zur Bewegung einladen, doch haben feste Sportanlagen noch Ausbaupotenzial. Als Leuchtturmprojekt könnte auch ein Themenpark mit nationaler Ausstrahlung dienen. Und zuletzt sollte die Kultur gefördert werden. Gerade sie kann helfen, das Bild einer Limmattalstadt zu stärken. «Das Limmattal verstädtert sich, das ist keine Sevcik-Idee, es passiert», fasst der Autor zusammen.

Beim Dietiker Bahnhof Glanzenberg eröffnet sich ein urbaner Blick auf den Fluss.

Stadt schon Realität

Wird die Idee nun von umtriebigen Weltbürgern auferlegt? Es gibt Stimmen, die das Limmattal einen idyllischen Natur- und Landwirtschaftsraum mit stark gewachsenen Dörfern nennen. Andere Augen sehen es als Verlängerung von Zürich und als Durchfahrtsort. Im Alltag ist das gesamte Limmattal jedoch stark verwoben. «Die Leute sind unehrlich. Sie wollen nicht in der Stadt wohnen, aber verhalten sich urban. Sie wohnen in Oberengstringen, schaffen in Schlieren, gehen ins Fitness in Spreitenbach, besuchen Freunde in Wettingen.» Teilweise sind die Gemeinden sogar baulich zusammengewachsen. Mit anderen Worten ist die Stadt bereits Realität. Und das Narrativ der Limmattalstadt hilft dabei, die laufende Verstädterung nicht passiv zu akzeptieren, sondern aktiv zu gestalten.